Neue Handprothese folgt dem Blick

Mai 20, 2020

Bisher können Handprothesen nur bestimmte Funktionen einer amputierten Hand ersetzen. Dieses Spektrum lässt sich jedoch erweitern, wenn die elektrischen Signale der Unterarmmuskulatur mit anderen Informationen verknüpft werden, wie etwa der Blickverfolgung. Dank einer vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderten Studie stehen nun umfangreiche Daten zur Verfügung.

Mit myoelektrischen Prothesen können bestimmte Funktionen einer verlorenen Hand zurückgewonnen werden. Allerdings ist die Geschicklichkeit oft eingeschränkt, und die Zuverlässigkeit hängt von der jeweiligen Signalstärke in der Unterarmmuskulatur ab. Um die Prothesen zu verbessern, kann man die Daten der myoelektrischen Signale mit Daten aus anderen Informationsquellen verknüpfen. Diesen Ansatz verfolgt Henning Müller, Professor für Wirtschaftsinformatik, dank dessen Arbeit eine frei zugängliche Forschungsdatenbank entstanden ist, die insbesondere die Augenbewegungen verfolgt und das maschinelle Sehen integriert.1

 

«Wenn wir nach einem Gegenstand greifen, fixieren wir diesen für die Dauer einiger hundert Millisekunden. Die Blickverfolgung liefert daher wertvolle Informationen über die Wahrnehmung eines Gegenstands, nach dem eine Person greift, und über die dazu nötige Bewegung», erklärt Prof. Müller. In Kombination mit der Blickverfolgung kann auch das maschinelle Sehen – die computergesteuerte Erkennung von Gegenständen im Sichtfeld – für die Teilautomatisierung von Handprothesen genutzt werden.

Die typischen Bewegungen einer Hand sollten den Daten zugeordnet werden, die von den Muskeln des amputierten Unterarms und von den zusätzlichen Informationsquellen geliefert werden. Deswegen hat der Wissenschaftler einen Versuchsaufbau mit 45 Personen entwickelt: 15 Menschen mit amputierter Hand und eine Kontrollgruppe von 30 Personen mit ansonsten ähnlichen Merkmalen. Mithilfe der Computermodellierung ihrer Bewegungen konnte Müller eine neue, multimodale Datenbank für Handbewegungen erstellen. Sie beinhaltet nicht nur die von den Elektroden erfassten Daten, sondern auch Informationen über die Bewegungsgeschwindigkeit des Unterarms, die Augenbewegungen, das maschinelle Sehen und die Kopfbewegungen.

«Dank der Integration der Daten, die uns die Blickverfolgung liefert, können effizientere Prothesen hergestellt werden, die den betroffenen Personen mehr Komfort und größere Autonomie ermöglichen», meint Müller. Die Erkenntnisse aus der Studie sind für alle frei zugänglich. Die neue Datenbank enthält auch Informationen, die für andere Fachdisziplinen nützlich sein können, die an der Erforschung der Koordination von Blick und Handbewegungen beteiligt sind, zum Beispiel für Neurowissenschaften, Robotik im Gesundheitsbereich, künstliche Intelligenz oder auch Psychologie.


Quelle:
Schweizerischer Nationalfonds (SNF)

Literatur:
1 Cognolato M et al.: Gaze, visual, myoelectric, and inertial data of grasps for intelligent prosthetics. Scientific Data 2020; 7: 43

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