Warum Knochen versagen

Mai 25, 2020

Ein Forscherteam der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) testet mit Methoden aus der Werkstoffanalyse, wann die Mikrostruktur von Knochen versagt.


Sägt man einen Oberschenkelknochen auf, erkennt man, dass er aus einer harten Außenschicht und einer porösen Füllung besteht. Unter dem Mikroskop sind innerhalb der harten Schale wiederum zylindrische Strukturen aus konzentrischen Lamellen erkennbar, die um zentrale Blutgefäße angeordnet sind. Diese einzelnen Lamellen sind nur wenige Tausendstel Millimeter dick und bestehen aus einer Art natürlichem Faserverbundwerkstoff: Kollagenfasern, in die Mineralpartikel eingelagert sind, eingebettet in einer proteinhaltigen, mineralischen Matrix. Dabei gilt: Je höher die Mineralisierung, desto steifer, aber auch bruchanfälliger ist der Knochen.

Dank des hierarchischen Aufbaus können Knochen trotz relativ geringer Dichte robust und widerstandsfähig zu sein. Wenn Knochen brechen, dann reicht es daher aber auch nicht, nur die Dichte und Struktur des Knochens auf Makroebene zu betrachten – für den Bruch sind Mechanismen in allen Skalenbereichen verantwortlich.

Eine Forschungsgruppe an der Empa in Thun unter der Leitung von Dr. Jakob Schwiedrzik hat es sich zum Ziel gesetzt, das Versagen der Knochen auf Lamellen­ebene besser zu verstehen. „Wenn man nur die Knochendichte betrachtet, wie das im klinischen Alltag meist der Fall ist, kann man das Bruchrisiko für Patienten im Mittel relativ gut vorhersagen. Im Einzelfall können die Resultate jedoch stark davon abweichen, und das effektive Frakturrisiko könnte falsch eingeschätzt werden“, erklärt Schwiedrzik. „Wir hoffen, dass wir dank unserer Forschung künftig genauere Voraussagen für jeden einzelnen Patienten machen können.“ Dafür verwenden die Forschenden Methoden, die eigentlich in der Werkstoffforschung zu Hause sind: Sie setzen kleinste Proben aus Knochenmaterial, die nur eine einzelne Lamelle enthalten, Zug- und Druckversuchen aus. Dabei untersuchen sie, wie das Material versagt und wie die gemessenen Eigenschaften mit der zugrunde liegenden Mikrostruktur ­zusammenhängen.

Für die Mikrostrukturanalyse werden Raman-Spektroskopie und Transmissionselektronenmikroskope eingesetzt. Für die Druck- und Zugversuche an den Knochenproben müssen zunächst mittels eines fokussierten Ionenstrahls Proben mit einer definierten Geometrie hergestellt werden. Um künftig mehr Proben in kürzerer Zeit analysieren zu können und eine statistische Auswertung der Experimente zu ermöglichen, besteht momentan ein großer Teil der Arbeit darin, die Probenherstellung zu automatisieren sowie eigene Messaufbauten zu entwickeln.

Zur Frage, wie sich die entwickelten Methoden für klinische Studien verwenden lassen, läuft derzeit ein Projekt, an dem Forschende des Inselspitals Bern, der Universität Bern, der ETH Zürich und der Empa beteiligt sind. Untersucht wird Knochenmaterial von Patienten, denen ein Hüftimplantat eingesetzt wurde. Dieses wird auf mehreren Längenskalen analysiert. Ziel ist, Daten über mikromechanische Eigenschaften, Mikrostruktur, Zellaktivität und Stoffwechsel zu sammeln und diese mittels „machine learning“ mit dem klinischen Befund und den Patientendaten zu korrelieren. Die so entstehende Datenbank soll es künftig erlauben, die Knochenqualität eines Patienten zu quantifizieren und in die Diagnose miteinzubeziehen.


Quelle:
Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa), Schweiz

Literatur:
Mirzaali MJ et al.: Bone 2016; 93: 196-211

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